Ruschi, ein Mühlhauser Ministrant, berichtet über seine Erlebnisse im Kongo
Die "Demokratische" Republik Kongo – Leben inmitten eines Landes, dessen kollabierendes System den Verschleiß von Mensch und Natur, billigend in Kauf nimmt.
Wenn ein Schiff in See auf einer Brandung zu zerschellen droht, ist schnellstmöglich eine Kursänderung von Nöten. Hat man diesen Augenblick bereits versäumt, treiben uns, wenn nicht der logische Menschenverstand, die ältesten Instinkte menschlicher und tierischer Natur dazu, das Schiff rechtzeitig vor dem Unausweichlichen zu verlassen. Doch hingegen jeglicher Logik klammern sich die Eliten eines Regimes, dessen Untergang nicht mehr mit der Frage von „ob“, sondern unter bloßer nüchterner Betrachtung, von „wann“ beschrieben werden kann, hinter die Maskerade ihres Steuermannes und Präsidenten Joseph Kabila...
In meinen letzten Rundbrief drohte die politische Situation des Landes bezüglich dem konstitutionellen Mandatsende des amtierenden Präsidenten auszuarten. Dies konnte aufgrund eines nationalen Dialogs, welcher von der Bischofskonferenz eröffnet wurde, unter Teilnahme aller Oppositionsparteien und der parlamentarischen Mehrheit verhindert werden. Nach eher glimpflich ausgefallenen Protesten geschah am 31 Dezember Das, mit dem keiner mehr gerechnet hatte: eine Übereinkunft welche die Zeitspanne für die Wahlen auf Dezember 2017 verkürzte und von einem, aus der Opposition ernannten, Premierminister organisiert werden sollten. Als selbst im Staatlichen Fernseher die Unterzeichnung des Vertrages übertragen wurde brach im ganzen Land Euphorie und Freude aus, die jedoch nicht lange währen sollte...
Der Urvater und das Gesicht der Opposition, Etienne Tshisekedi, starb kurz nach der Unterzeichnung der Übereinkunft und mit ihm auch ein Teil des Kampfgeistes der Opposition. Ein neuer Premierminister wurde ernannt, jedoch wiederrum vom Präsidenten selber. Insgesamt sind in der neuen Übergangsregierung von (in der D.R.K übertriebenen) 58 Minister lediglich 5 neue Gesichter zu sehen. Zusätzlich treiben seitdem die Verhandlungen auf Eis liegen, bewaffnete Rebellen im Herzen des Landes ihre Gräuel, manche davon in naher Verbindung mit der Regierung, mit dem Ziel die Wahlen erneut, aufgrund einer herrschenden Unsicherheit im Lande, um weiteres zu verschieben. Es ist demnach auch keine Überraschung, dass unter den Opfern dieser bewaffneten Milizen sich ausgerechnet Wahlbeobachter der Vereinten Nationen befinden. Aber auch die katholische Kirche wurde, zur Einschüchterung (da sie sich zu sehr politisch engagiere), gezielt angegriffen. Zum Leid der Bevölkerung wurden dabei auch Krankenhäuser, Schulen und Kirchen ausgeraubt und anschließend zerstört. Viele Schwestern und Patres der Salvatorianer sind daher geflüchtet und verweilen zurzeit in verschiedenen Häusern in Kolwezi, da es hier seit Beginn meines Aufenthaltes stets ruhig bleibt.
Doch da über die momentan stattfindenden Machenschaften und Perversionen dieses dem Untergang geweihten Regimes, dass verzweifelt versucht sich der bevorstehenden Entmachtung, Verfolgung und Verurteilung zu entrinnen, ein Sachbuch geschrieben werden könnte, widmen wir uns nun den wahren Verlierern dieses politischen Konfliktes zu: Der Bevölkerung.
Denn während Regierung und Opposition über die Auslegung der unterzeichneten Dokumente auf keinen gemeinsamen Nenner kommen, werden die Lebensverhältnisse der Kongolesen von Tag zu Tag prekärer. Darunter leiden in erster Linie die Kinder. Zum Halbjahr verloren wir an unserer Schule ein ¼ unserer Schüler. Weniger Schülereffektiv bedeutet jedoch für die Lehrerschaft weniger Gehalt, da das Einkommen der Schule sinkt. Zur Erinnerung, im Kongo wird die Schule nicht vom Staat finanziert, sondern die Schule finanziert den Staat, welche wiederum ausschließlich von den Schülern finanziert wird. Dies hatte die Konsequenz, dass manch Lehrkräfte, Schüler nahezu 1 Mio. Franc Schulgeld abnahmen ohne das dieses bei der Schulleitung registriert wurde. Als Ergebnis wurden zu Unrecht über 40 Schüler von der Schule geschickt, da man dachte dass diese die Schulgebühren nicht bezahlt hatten. Diese hatten sich vorerst geweigert, aus Angst wegen der harten Gangart der betroffenen Lehrkräfte, auszusagen. Am nächsten Tag jedoch stürmten wütende Eltern die Schulleitung und die Täter unter der Lehrerschaft wurden schließlich aufgedeckt. Diese hatten bereits das kleine Vermögen, um welches sie sich bereichert hatten, verprasst und so sah sich der Schulleiter gezwungen, gegen jegliche Moral, diese Lehrkräfte weiterhin zu beschäftigen um zur Begleichung der Schulden dem Monatsende hin das Gehalt dieser zu kürzen. Entsprechend der zugetragenen Ereignisse waren die letzten Schulwochen bis zu den Osterferien geladen und anstrengender als gewöhnlicher Weise.
Die Auswirkungen der sich zuspitzenden Krise beschränkten sich jedoch nicht nur auf das Bildungswesen, sondern auch generell auf die Ernährungslage. Als wäre die Situation im Lande nicht schlimm genug, sorgte eine Raupenepidemie für erhebliche Ernteausfälle und der Mehlpreis stieg um 40%. Dies hatte unwiderruflich zur Folge, dass die Einschreibungen im Zentrum der salvatorianischen Schwestern für unterernährte Säuglinge, in welchem ich von Zeit zu Zeit aushelfe, ein seit 2002 nicht mehr registriertes Maxima erreichten. Ein weiterer Faktor der mehr und mehr zur Geltung kommt, ist auch hier der Klimawandel. Selbst wenn die D.R.K weiterhin das Niederschlagsreichste Land Afrikas bleibt, gehen die Regenfälle seit nun 5 Jahren konsequent zurück, zum Leid der Reiskulturen im Inland. Zudem nimmt die Arbeitslosigkeit wegen fehlender Investitionen aus dem Ausland weiterhin zu, da von erwünschten Stabilität und Sicherheit nicht die Rede sein kann. Viele wissen sich nicht anders zu helfen, als ihr Leben zu riskieren, indem sie in Erdlöcher hinabsteigen, die von außen betrachtet einem nicht viel größer wie ein Dachsbau erscheinen um aus den Tiefen der roten Erde ein paar Pfund Metall an die Oberfläche zu schaffen. Während der Regenzeit verging kaum eine Woche an welchen nicht von einem Minenunglück berichtet wurde, bei welchen Menschen von den herabströmenden Regenfälle (und den damit verbundenen Erdrutsche) verschüttet wurden oder gar in den Tunnelgalerien ertranken. Andere treibt es in den Regenwald, um durch das Schlagen und Verkaufen von Edelhölzer oder dem Jagen seltener Tiere ihr täglich Brot zu verdienen...
Da die Regierung sich durchaus über dem allgegenwärtigen Gemüte des Volkes gegenüber der politischen Elite (die das Land durch Korruption, Ausbeutung und Misswirtschaft am Rande des Abgrund geführt hat) bewusst ist, patrouilliert nun seit geraumer Zeit ein Großaufgebot des Militärs durch die Straßen von der Provinzhauptstadt Lubumbashi um jegliche Protestinitiative, sei sie noch so friedlich, zu unterbinden. Das Militär, wenn überhaupt, unterbezahlt, trägt zusätzlich ebenfalls zum Leid der Bevölkerung bei, da es gut passieren kann das man an manch unterbelichteten Ort von manch besoffenen (oder durch allerlei anderen schädlichen Zeug betäubten) Individuen der Armee ausgeraubt wird, welche selbstverständlich zum "Schutze der Bevölkerung deployiert sei" (häufig verwendetes Zitat aus Regierungskreisen). Auch Polizisten, die mit Vollautomatischen ausgerüsteten, am Straßenrand (meist) willkürlich Autos anhalten, gemütlich im Bus durch die Gegend fahren oder schlichtweg in den Gassen marschieren, erwecken keineswegs Wohlbefinden, sondern eher ein flaues Gefühl im Magen.
Angesicht all dieser alltäglichen Strapazen die sich nun seit Monaten zuspitzen, ist den Menschen die Anspannung und Erschöpfung wahrlich ins Gesicht geschrieben. Da der Bürgerkrieg vor 20 Jahren nur noch allzu gut im Geiste der Kongolesen präsent ist, wird die direkte Konfrontation zwischen Regime und Bevölkerung zunächst noch vermieden und man sucht sich andere Ventile, um den angestauten Frust über eine Regierung die ihre Bürger maßlos an der Nase herumführt und unterdrückt, auszulassen.
Mancher stürzt sich ins Delirium durch exzessiven Drogenkonsum, Festet und vergisst die Sorgen - zumindest bis zum kommenden Morgen, doch die meisten Suchen (das ist auch besser so), Rückhalt und Stärkung in der Kirche. In Diur wird jeden Morgen Messe zelebriert und um halb sieben sind ungefähr so viele Kirchgänger anzutreffen als bei uns an einem gewöhnlichen Sonntag. Sonntags hingegen sollte man pünktlich zu Beginn der Messe präsent sein, wenn man nicht zur, vor der Kirche campierenden Menschenmasse gehören will, welche die Messe lediglich durch die Eingangspforte der Kirche mitzelebriert. So fühlt man sich bei manch gewöhnlicher Sonntagsmesse in Diur wie an einem Hochfest im erzkatholischen Oberschwaben. Wenn unter den kräftigen und lebhaften Klängen des Chorus, der vor Freude kreischenden, singenden, klatschenden und tanzenden Menge an die 30 Ministranten, 4 Lektoren, 2 Messmer, der Pfarrer und dessen Konzelebranten, in Weihrauch gehüllt in die Kirche marschieren, schien es (zumindest für mich) unvorstellbar das dies an einem Hochfest noch getoppt werden könnte... dann kam Maria Himmelfahrt, Erntedank, Allerheiligen, Weihnachten, Ostern etc. Leider reicht mein wörtliches Repertoire keineswegs aus um die Euphorie und die Emotionen die man inmitten eines solches Augenblickes erlebt, geltend zu beschreiben. Wer will, kann selbst versuchen sich einen Gottesdienst gedanklich auszumalen, bei welchen man von Kopf bis Fuß von Schweiße durchnässt und mit den Gedanken noch in andere Sphären schwebend, aus der Kirche watschelt...
Schwer vorstellbar, wenn man bedenkt dass die katholische Kirche in vielen europäischen Ländern kontinuierlich an Charme und Einfluss verliert. Hier im Kongo jedoch, erlebt man hautnah, was die Kirche für die Menschen auch in unserem Lande (man bedenke allein den 2.Weltkrieg) einst war: ein Zufluchtsort und Hoffnungsschimmer in schweren Zeiten, ein Funke in der Finsternis der Gräuel dieser Welt. Dubiose Machenschaften und Missbrauchsfälle haben die Kirche in Europa zudem gemacht, was sie heute für viele nun mal geworden ist. Eine sonntägliche Gewohnheit, eine Attraktion an Weihnachten und Ostern, eine verkürzte Gehaltssumme oder gar eine belanglose Institution. Dabei bedenken viele nicht, von welcher Wichtigkeit die Kirche in jenen Ländern ist, welche keine annähernd solide Wirtschaft, Forschung, Bildung, Sicherheit und Civilgesellschaft haben wie in unserm hiesigen. Hier in Kolwezi besuchen nahezu ¾ aller Schüler katholische Institute, in ärmeren Viertel ist die medizinische Versorgung allein durch Krankenhäuser und Gesundheitszentren garantiert, die ebenfalls mühselig von Missionaren erbaut und dessen Finanzierung aus europäischen Kirchenfonds geschöpft wurden. Viel zu schnell vergisst man dass die (zwar keineswegs fehlerfreie) kirchliche Institution, ein Anker für all die Menschen ist, die sich nicht mit der Frage beschäftigen können ob sie bei der nächsten Bundeswahl CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke wählen oder ihre Stimme an die AfD verheizen sollen, sondern die jeden Tag aufs Neue in einer Welt erwachen, in welcher sie keine Wahl (weder wahres Parteispektrum) haben, sondern ihre Gedanken viel substanzielleren Fragen widmen müssen wie: Woher man die Mittel, um seine Familie ernähren und manch Kind die Schulbildung zu gewähren, schöpfen soll. Denn hingegen all den kulturellen, ethnischen, sprachlichen Unterschiede und der geographischen Distanz, vergesse man nicht die christlichen Grundzüge unseres Menschseins. Das Ziel eines Tages, jedem Menschen, dem Sinnbild der Schöpfung Gottes und Wunder der Natur, ein Leben zu ermöglichen welches dem Schöpfergeist und/oder dem der Evolution gerecht wird. Ein Leben das nicht dem täglichen Kampf ums Überleben gewidmet sein sollte, in einer Umgebung wo die Menschlichkeit und der Lebensraum vieler - der Profitgier weniger weichen muss, sondern hauptsächlich der Entfaltung der persönlichen Träume eines jeden Menschen in körperlichen als auch seelischen Wohlbefinden, gewidmet sein müsste.
Mit diesen Worten möchte ich Einladen, nicht die Augen zu verschließen gegenüber all die, über den Globus verstreuten Menschen, welche von nahezu unvorstellbaren Leid durch Katastrophen, seien sie natürlichen oder menschlichen Ursprungs, heimgesucht werden, sondern ganz im Gegenteil, die Herzen zu öffnen gegenüber dem Unbekannten und Fremden, aber auch gegenüber unserer Mitmenschen in unmittelbarer Umgebung. Denn das wahre Glück, man kann es nicht oft genug sagen, findet sich nicht in Materiellen, sondern in den zwischenmenschlichen Kontakten. Wenn wir in eine Zukunft blicken wollen, in welcher die Harmonie und Toleranz aller Menschen untereinander herrschen soll - nicht die Macht des Geldes und damit verbundenen Übel, ist die Sensibilisierung darüber, dass uns keine Welten trennen sondern überwindbare Distanzen, Distanzen die auf kurz oder lang überwunden werden müssen, um den Fortgang unserer Lebensgrundlage (dem fragilen und unermesslich wertvollen Ökosystem unseres Planeten Erde) zu gewährleisten, unausweichlich.
Natürlich möchte ich wie immer nicht versäumen, meinen Freunden, Ministranten, treuen Gästen des „Gasthaus Rössle“, sonstigen Bekanntschaften und natürlich meiner Familie, herzliche Grüße auszurichten. Für das Meistern kommender Prüfungen und Herausforderungen, seien sie im akademischen, alltäglichen Sinne oder auch mit der Überwindung der terroristischen Bedrohung (die uns allen spätestens seit Dezember auch in Deutschland auferlegt wird) verbunden. Seit Gewiss dass meine Gedanken euch stets Begleiten. Wie gesagt, uns trennen keine Welten, lediglich eine Distanz die schon in weniger als 10 Wochen erneut überwunden wird...
Euer Timo (bzw. Ruschi)