Mein Freund der Baum ist tot

In der Nacht, am 21.06.2021, gg. 23:20 Uhr, erlitt unsere alte Linde einen heftigen Sturmschaden, einen Windbruch. Sie verlor einen großen Ast.

Am 29.06.2021 traf sie der nächste Sturm. Durch den neuerlichen Windbruch brachen vier Äste ab und verfingen sich in die noch vorhanden Ästen. Aus Sicherheitsgründen musste der komplette Kronenteil entfernt werden. Jetzt steht nur noch der Baumtorso (Stamm mit Stammkopf) da, wie ein Zahnstocher, in den Himmel gerichtet. Eine Überprüfung durch einen Fachagrartwirt für Baumpflege und Baumsanierung ergab, dass es nicht mehr möglich sei, eine natürliche Baumkrone aufzubauen.  

Die sinnvollste Möglichkeit sei das Fällen des Baumes und eine Neupflanzung.

Im Jahr 1968 sang die Schlagersängerin Alexandra das Lied:

„Mein Freund der Baum ist tot; er fiel im frühen Morgenrot .…“

Jetzt mussten wir alle selber erfahren, was die Sängerin damals mit diesem Lied zum Ausdruck gebracht hat.

 

Liedtext:

Ich wollt dich längst schon wiedersehen

Mein alter Freund aus Kindertagen

Ich hatte manches dir zu sagen

Und wusste du wirst mich verstehen

Als kleines Mädchen kam ich schon

Zu dir mit all den Kindersorgen

Ich fühlte mich bei dir geborgen

Und aller Kummer flog davon

Hab ich in deinem Arm geweint

Strichst du mir mit deinen Blättern

Mir übers Haar mein alter Freund

Refrain:

Mein Freund der Baum ist tot

Er fiel im frühen Morgenrot

Du fielst heut früh ich kam zu spät

Du wirst dich nie im Wind mehr wiegen

Du musst gefällt am Wegrand liegen

Und manche der vorrübergeht

Der achtet nicht den Rest von Leben

Und reist an deinen grünen Zweigen

Die sterbend sich zur Erde neigen

Wer wird mir nun die Ruhe geben

Die ich in deinem Schatten fand

Mein bester Freund ist mir verloren

Der mit der Kindheit mich verband

Refrain

Bald wächst ………..

 

 

Pflanzen sind seit gedenken des Menschen allgegenwärtige Wesen. Steht eine solche alte Pflanze, wie hier unsere alte Dorflinde, über Generationen hinweg in Mitten des Dorfes, wird dieser Baum zu einem Mitbewohner in der dörflichen Gemeinschaft.  

Zu aller Zeit waren die Bäume Symbole des Lebens und der Erneuerung. Im Wachsen, Blühen, Fruchtbringen und im winterlichen Absterben finden die Menschen ihr eigenes Leben in einem solchen Baum widergespiegelt.

Auch in dem Lied, „Mein Freund der Baum“, welches Alexandra selbst geschrieben und gesungen hat, wird auf die Beziehung eines Menschen mit dem Baum eingegangen. Sie bringt die Beziehung zwischen dem Menschen und einem Baum in dem Lied deutlich zum Ausdruck. Der Baum wird als „alter Freund aus Kindertagen“ bezeichnet. Er wird als Sehnsuchtsmotiv dargestellt. Der Baum, ein Freund, welcher einen tröstet und zuhört, welcher einen schützt und Schatten spendet.

Mitten in unserem Dorf, vor unsere Kirche, stand ein solcher Freund, unsere alte Linde. Schon von weitem sah man sie. Durch ihre Wipfel rauscht die Weltgeschichte. Die Dorflinde steht im Mittelpunkt der dörflichen Gemeinschaft. Unter ihr fanden sich die Dorfbewohner in allen Zeiten in Freud und Leid zusammen. Schon immer lud ihr kühlender Schatten die Dorfbewohner zum geruhsamen Plaudern ein. Hier war der Platz, wo man Sorge und Leid mitteilte oder Erkenntnisse, Fertigkeiten und Lebensweisheiten austauschte.

Der Dichter Hesse schrieb:

„Bäume haben lange Gedanken, langatmige und ruhige, weil sie ein längeres Leben haben als wir.“

Stehe ich unter der alten Linde geht mir das Alexandra-Lied durch den Kopf: „Ich wollt dich längst schon wiedersehen, mein alter Freund aus Kindertagen. Ich hatte manches dir zu sagen und wusste, du wirst mich verstehen. Als kleiner Junge kam ich schon zu dir mit all den Kindersorgen. Ich fühlte mich bei dir geborgen und aller Kummer flog davon. Hab ich in deinem Arm geweint, strichst du mir mit deinen Blättern übers Haar, mein alter Freund, mein Baum.“

Auch Hermann Hesse schreibt über den Baum:

„Wenn ein Baum umgesägt worden ist und seine nackte Todeswunde der Sonne zeigt, dann kann man auf der Scheibe seines Stumpfes und Grabmals seine ganze Geschichte lesen: in den Jahresringen und Verwachsungen steht aller Kampf, alles Leid, alle Krankheit, alles Glück und Gedeihen treu geschrieben, schmale Jahre und üppige Jahre, überdauerte Angriffe, überdauerte Stürme.“

Unsere Dorflinde hat schon viel gesehen, sie hat schon viel gehört und viel erlebt. Sie könnte sehr viel über das Dorf und deren Bewohner erzählen. Durch den Verlust unserer alten Dorflinde stirbt ein Teil von Mühlhausen, es stirbt ein Teil der Dorfgeschichte.

       So endet für mich mein Traum

vom Leben mit einem Baum,

ein Leben lang empfing sie Sonne

entwickelte sich mit Wonne,

man konnte Sie von weitem sehen

und blieb gerne unter ihr stehen,

Sie hörte das ein oder andere klagen

und gab Antwort auf die vielen Fragen,

jedem hörte Sie geduldig zu

und spendete dabei Frieden und ruh,

ein Freund das kann man sagen

das war Sie in all den Tagen,

die Linde war so stolz so groß und hoch erhoben,

in Mühlhausen stand der Baum ganz weit oben,  

der Baum fehlt mir jetzt schon sehr

ein neuer kommt hoffentlich bald her.

Der Baum-Torso wird entfernt

„Baum fällt“ hieß es am Samstag, dem 27.11.2021 um 08:30 Uhr. Die Holzfäller rückten an. Der Baumtorso wird nun gefällt. Zwei Sägen, ein Keil, ein schwerer Hammer und ein Traktor mit Seilwinde waren dafür von Nöten um den Stamm zu fällen. Nach einer dreiviertel Stunde war es dann soweit. „Baum fällt“ hieß es und unsere alte Linde war nicht mehr da. Auch die Hoffnung das vielleicht eine Holzwurmmaske oder ein Alphorn daraus entsteht verflog nachdem dem Baum gefällt war. Der Kern der Linde war bereits verfault weshalb es sich nicht mehr rentierte den Stamm sägen zu lassen. Jetzt wird er noch einen Winter warm geben, danach war es mit der alten Dorflinde.

Eine neue Linde wird gepflanzt

Wir lasssen uns durch einen Sturm nicht erschüttern oder wir wollen unsere Linde wieder zurück.

Die neue Linde wurde am 20.12.2021 durch das Greanteam Hummertsried neu geplfanzt.

Unsere Linde wurde geliebt. Unsere Linde bedeutete Heimat.

Jetzt haben wir eine neue bekommen.

Unsere Dorflinde ist die gesellschaftliche Mitte. Die Linde steht vor der Kirche und neben dem Ottilienbrunnen.

Die Linde stellt für die Menschen eine „mütterliche“ Baumpersönlichkeit, mit herzförmigen Blättern, süßem Blütenduft und ausladender Krone, die eine besondere Anziehungskraft hat und ein Gefühl von Geborgenheit spendet, dar.

Die Linde ist eine lebende Präsenz, eine Verkörperung des göttlichen Wesens, das Liebe, Lebensfreude, Gesundheit, Geborgenheit bringt. Deswegen wird die Linde als Dorflinde gepflanzt.

Der Name »Linde« bezieht sich auf die Sanftheit und Weichheit des Holzes. Statuen der heiligen Muttergottes wurden meist aus Lindenholz geschnitzt. Lindenholz wurde als lignum sanctum, als »heiliges Holz« bezeichnet.

Die Linde gilt als ein Symbol für Gerechtigkeit, Liebe, Frieden und Heimat sowie als Platz der Gemeinschaft. Dazu Martin Luther: „Wenn wir Reuter sehen unter der Linden halten, wäre das ein Zeichen des Friedens. Denn unter der Linde pflegen wir zu trinken, tanzen, fröhlich sein, denn die Linde ist unser Friede- und Freudebaum.“

Schon im Mittelalter schrieb Walter von der Vogelweide über die Liebe unter der Linde und Heinrich Heine sagte,

 „Sieh dieses Lindenblatt! Du wirst es

 Wie ein Herz gestaltet finden,

Darum sitzen die Verliebten

 Auch am liebsten unter Linden.“

Bis wir unter der Linde wieder sitzen können, sie uns Schatten spendet und unseren Sorgen lauscht wird noch eine gewisse Zeit vergehen.  

Der Anfang ist gemacht. Unsere Dorflinde steht wieder. In der heutigen Zeit, in der Corona-Zeit, ein wahrhaft schönes Symbol für die Hoffnung.